Texte über Holzing
Der bekannte Unbekannte von Dr. Philipp Demandt | Kunsthistoriker und Leiter des Städel Museums, des Liebieghauses und der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main
Krabat, Die Abenteuer des starken Wanja oder Die Glocke von grünem Erz – Generationen haben seine Bilder in den Büchern Otfried Preußers, aber auch Willi Fährmanns, Ingeborg Bayers oder Theodor Storms im Gedächtnis. Doch seinen Namen kennen die wenigsten: Herbert Holzing. Trotz unzähliger Veröffentlichungen und vieler Auszeichnungen ist der herausragende Illustrator der sechziger bis neunziger Jahre Zeit seines Lebens im Schatten seiner Bilder geblieben.
Geboren 1931 in Trier, 2000 dort auch gestorben, war Herbert Holzing vom Schildermaler über Stationen an der Kunstakademie Karlsruhe und der Werkkunstschule Trier zum Werbegraphiker geworden. Doch die Enge des Konzeptionssilos Reklame trieb ihn mit 34 Jahren in die Selbstständigkeit. Und dieser Schritt war wohlgetan: Holzing wurde zu einem der wichtigsten Buchillustratoren Westdeutschlands und das, obgleich sein Stil so östlich war.
Die erdige Vitalität, das Emotionale, die ausdrucksstarke Poesie der Gesichter, besonders der Frauen, fesselten Holzing an der slawischen Kunst. Das Ornamentale in der Buchkunst, in der Volksmusik, im Tanz. Die poetischen und sinnlich-empfindsamen farbigen Bilder des naiven Realismus entstehen in diesem Raum. Irgendwie fühle ich mich da eigentümlich genug zu Hause.
Unverkennbar sind die Einflüsse auf sein Werk: sepiabraune Bilder, die trotz aller Farben, die Holzing in Schichten über Schichten aufzutupfen pflegte, meist eine dunkle Seite in sich tragen, ertragbar für Kinder oft leichter als für Erwachsene. Surreal und phantastisch, oft in krassen Anschnitten oder mutigen Perspektiven, kamen seine Figuren daher, meist flächig wie die Protagonisten eines Figurentheaters, dann aber wieder voll des Reichtums in Details von Kleidung, Tieren oder Gegenständen. So gewinnen Holzings Werke im Original fast den Charakter plastischer Arbeiten, sanfter Reliefs, die man geradezu berühren möchte.
Gespenstisch schön und unheimlich, traumtief und voller Geheimnisse fanden vergangene Rezensenten seinen Stil – allzu oft verbargen sich seine seltsam verschlossenen Figuren dem Betrachter mehr als sie sich ihm offenbarten. Nicht von ungefähr sollte ihr Schöpfer besonders für die sagenhaften Stoffe zum Pinsel greifen: Das finnische Nationalepos Kalevala hat Herbert Holzing ebenso wie Lloyd Alexanders Taran um mehr als eine Ebene bereichert. Denn das Tauchen in den Text, das Aufspüren von Atmosphäre, war Grundlage seiner Arbeit. Nie wäre es Holzing in den Sinn gekommen, nur auf der Basis eines Klappentextes einen Umschlag zu gestalten.
Für die Bilder der alten sorbischen Sage Krabat recherchierte Holzing die historischen Gegebenheiten der Dichtung; er besorgte sich Bilder von Land und Leuten und studierte deren Tracht. So konnte er bei seinen Illustrationen genau differenzieren zwischen Bauern, Handwerkern und Patriziern und mit der Farbskala stilsicher soziale Unterschiede aufscheinen lassen. Die florale Ornamentik in den prachtvollen Mänteln und Kleidern der Obrigkeit geriet ihm zu einem einzigen Farbenglanz. Hier konnte der Künstler mit allen Nuancen seiner Farbpalette brillieren€œ, schreibt Christian Scheffler, ehemaliger Leiter des Offenbacher Klingspor-Museums und einer der besten Kenner internationaler Buchkunst. So ist zum Beispiel die Farbe der dunkel-lila Fläche eines hochgewölbten Planwagens nicht mit dem Pinsel eintönig angelegt, sondern mit einem kleinen Stoffballen auf das Papier getupft und damit reizvoll strukturiert; die Materialität der Stofflichkeit der gealterten Leinenplane wird damit dem Auge des Betrachters suggeriert.
Üœber zwei Millionen Mal wurde Krabat in zahlreichen Auflagen und Ausgaben verkauft, weltweit übersetzt in mehr als 30 Sprachen, bis hin ins Koreanische. Sprachkunst löst Bildkunst aus, die aus eigenem Vermögen den Betrachter auf etwas aufmerksam macht, das in der Dichtung vorgezeichnet ist, hat Horst Oppel in seinen Forschungen zur Shakespeare-Illustration geschrieben, dieses Wissen um die wechselseitige Erhellung der Künste sollte auch in Herbert Holzing einen Meister finden.
Eine eher zufällige Begegnung führte nun dazu, dass sein Nachlass nahezu geschlossen in das Bilderbuchmuseum auf Burg Wissem in Troisdorf gelangte. Denn nur am Rande eines Gespräches mit der Tochter des Illustrators während eines privaten Termins erfuhr die Kulturstiftung der Länder vom Erbe des Herbert Holzing, das von seiner ehemaligen Frau Christine inventarisiert und ergänzt worden war und nun vor der drohenden Zerschlagung stand, weil die Mittel für einen Gesamterwerb scheinbar nirgendwo vorhanden waren. Die Familie selbst hatte schon seit längerer Zeit den Verkauf an ein Museum favorisiert, wobei Troisdorf an erster Stelle stand, doch fehlten Rat und Tat, um eine solche Transaktion zu bewältigen.
Denn die Veräußerung kompletter Nachlässe ist eine vielschichtige Angelegenheit, die weit über die normalen Usancen des Kunsthandels hinausreicht. Den Wünschen der Erben stehen mitunter hohe Folgekosten der erwerbenden Institutionen für die Archivierung, Aufarbeitung und dauerhafte konservatorische wie wissenschaftliche Betreuung gegenüber. Zwar erhält ein Museum mit einem Nachlass meist herausragende Objekte, doch sind in jedem Nachlass oft auch mannigfache Konvolute präsent, die von geringerem Wert oder Interesse sind, der Vollständigkeit halber aber miterworben werden sollen und streng genommen sogar müssen. So gilt es bei der preislichen Bewertung ganzer Nachlässe manches gegeneinander abzuwägen; eine bloße Addition von Preisen, die für Einzelblätter etwa auf Auktionen oder in Verkaufsausstellungen gezahlt wurden, ginge an der Sache vorbei. Für die Erben kommt hinzu, dass die oft gewünschte Verankerung des Künstlers in der Kunstgeschichte grundsätzlich durch eine systematische Sicherung und Dokumentation des Nachlasses am besten gewährleistet werden kann und dies besonders bei jenen Künstlern, die zu Lebzeiten wenig Strahlkraft auf dem Kunstmarkt besaßen.
Bei einem solch komplexen Vorhaben nun konnte die Kulturstiftung der Länder helfen, die in der Vergangenheit schon die Erwerbung vieler bedeutender Nachlässe deutscher Künstler und Literaten: von Bertolt Brecht bis Wilhelm Lehmbruck für öffentliche Institutionen unterstützt hat und dabei immer ausgewiesene Spezialisten für genaue Expertisen hinzuzieht. Hochkarätig und frappierend fand denn auch der langjährige Leiter der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek, Professor Tilo Brandis, den Nachlass Herbert Holzings, den er im Auftrag der Kulturstiftung begutachtete und dessen Bedeutung für das Kinderbuch des späten 20. Jahrhunderts außer Frage steht. Darüber hinaus, so Brandis, stelle das Erbe Holzings, ein höchst aufschlussreiches Quellenmaterial zur Dokumentation, Erforschung und musealen Präsentation der modernen Kinder- und Jugendbuchillustration dar. Christian Scheffler wiederum kam in seinem Gutachten für die Kulturstiftung zu dem Ergebnis, die Geschlossenheit und Aufarbeitung dieses Lebenswerkes sei ein Glücksfall für das Museum der Stadt Troisdorf. Ein so umfassendes Öuvre eines Illustrators in einer öffentlichen Sammlung für die Zukunft zusammenhalten zu können, ist eine besondere Gelegenheit. In den seltensten Fällen findet man von einem Künstler noch einen so umfangreichen Bestand an Originalen zusammen wie im Fall von Herbert Holzing. Sein hochkünstlerischer Illustrationsstil ist unverwechselbar.
Beinahe 1.000 Arbeiten, ergänzt um viele Originalausgaben seiner Bücher, sind nun in das Bilderbuchmuseum Troisdorf gelangt. Nach dem Umbau des Hauses 2012 will das Museum Herbert Holzing mit einer umfassenden Ausstellung feiern. Dann wird auch der Mann hinter seinen Bildern wieder aufscheinen, der so wie mancher Autor mit Worten Bilder malt mit seinen Bildern fabelhaft erzählen konnte.
Otfried Preußler – In Memoriam Herbert Holzing
Nachruf auf einen eigenwilligen Künstler und guten Freund
Am Abend des 20. Januar haben wir noch miteinander telefoniert. Er wirkte gelöst und heiter wie selten. „Stell Dir vor, ich bin bei der kleinen Marie gewesen!“ Die kleine Marie ist sein erstes Enkelkind, kürzlich zur Welt gekommen. Nun wird sie den Großvater nie mehr wiedersehen: drei Tage nach unserem Gespräch ist Herbert Holzing in Trier überraschend verstorben, in seiner Wohnung am Nachtigallenweg, die zugleich sein Atelier war. Er stand am Beginn des siebzigsten Lebensjahres. Wer kennt Gottes Ratschluß, wer kann ihn entschlüsseln? Jedem schlägt seine Stunde, sie ist ihm vorbestimmt.
Unsere Zusammenarbeit, aus der sich mit der Zeit eine enge Freundschaft entwickelt hat, begann im Frühsommer 1968. Damals ist Holzing kurzfristig als Illustrator für mein Buch „Die Abenteuer des starken Wanja“ eingesprungen. Da alles sehr schnell gehen mußte, hat er die Bilder mit der Rohrfeder gezeichnet. Überhaupt die Rohrfeder! Auf Reisen brauchte er keine Kamera. Er saß oder lehnte in einer Ecke, an einem Geländer und zeichnete, was ihm des Aufzeichnens wert erschien. Auf diese Weise sind hinreißend spontane Blätter entstanden: aus Prag, aus Rußland, übrigens auch aus Volkach am Main, dem Sitz der deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, die er mitbegründet hat. Er war ein Poet mit der Rohrfeder. Und er war, als Künstler, ein eigenwilliger Mann, der sich gängigen Moden nie unterworfen hat.
Niemals hat er die Dinge einfach so gelten lassen, wie er sie vorfand. Er hat immer versucht, ihnen auf den Grund zu kommen, sie ihrem Wesen nach zu erfassen, sie innerlich zu begreifen. Ein von Grund auf ehrlicher, ein von Grund auf bescheidener Mensch. Auch Widerhaken im eigenen Fleisch hat er hingenommen. Ein Mensch und Künstler mit starkem Charakter kurzum, ein Mensch und Künstler mit klaren Prinzipien, nicht ohne einen gewissen Hang zum Grüblerischen. Ein rastlos tätiger Mensch zudem.
Insgesamt hat er im Lauf seines nun vollendeten Schaffens weit über hundert Bücher ausgestattet, vorwiegend Bilderbücher, von Schutzumschlägen nicht erst zu reden. Dabei hat er sich vorwiegend einer denkbar schwierigen Technik bedient. Die im typischen Holzing-Braun gehaltenen Grundbilder hat er akribisch ausgeschabt, hat sie mit farbigen Folien überklebt, hat sie transparent gemacht. Ich denke an den „Großen Krabat“, den leider vergriffenen, der auf diese Weise entstanden ist. Welche Leuchtkraft, die aus Holzings Blättern hervorstrahlt!
Niemals ist er sich auch für die tägliche Arbeit des Grafik-Designers zu schade gewesen. So hat er, nebst vielem anderen, die Titelei des „Volkacher Boten“ entworfen; so verdanken wir ihm das Signet für die Deutsche Akademie, für das Hilfswerk Aschau. Und – und – und …
Viel Freude hat ihm die Tätigkeit als Dozent an den Innsbrucker Sommerakademien gemacht. Er wollte sich mitteilen, wollte jüngere Leute teilhaben lassen an seiner Kunst, seinem Kunstverständnis. Das ist ihm wichtig gewesen, das war für ihn kennzeichnend.
Es hat nicht an Ehrungen für Herbert Holzing gefehlt, nicht an Auszeichnungen. Erinnert sei an den Großen Preis der Deutschen Akademie in Volkach, an den Goldenen Apfel der Biennale von Preßburg. Unser verewigter Freund Hubert Göbels, weiland Nestor der Kinder- und Jugendliteraturforschung in Deutschland, hat einmal gesagt: „ Wenn ich ein Bischof wäre, der ich nicht bin – ich würde den Holzing bitten, daß er mir eine Kirch ausmalt. Mit den Gestalten unseres Glaubens, mit den Bildern des Evangeliums, wie er es sieht. Und wie er es weitergibt“.
Lieber Freund, lieber Herbert Holzing! Ich stelle mir vor, daß Du drüben mitwirken darfst am Bilderschmuck eines großen Heiligtums, einer frommen Bestätigung Deines immerwährenden Glaubens an Gottes Barmherzigkeit. Was gäbe es mehr, das uns trösten könnte?
Radio 3 – RBB ( 96,3 Mhz) – 29.11.2003 – „Kritik am Morgen“
Im Foyer der Berliner Zentral- und Landesbibliothek, Breite Strasse 32 bis 43 wurde die Ausstellung mit Illustrationen des im Westen Deutschlands allseits bekannten, im Osten bis dahin jedoch völlig unbekannten Buch-Illustrators Herbert Holzing eröffnet, der in seinem Leben etwas 85 Bücher illustriert und darüberhinaus 120 Schutzumschläge zu Büchern gestaltet hat. Es spricht: Kunstkritiker Christoph Tannert:
Herbert Holzing, der von der Mosel stammt und vor gut drei Jahren verstarb, hat mit seinem unverwechselbaren Zeichenstil den Bereich der Kinder- und Jugendbücher geprägt, wie kaum ein anderer. Wer einmal den von Holzing illustrierten „Krabat“ von Otfried Preußler oder dessen märchenhafte Geschichten aus dem alten Russland in Händen hatte, wird den Holzing-Stil mit Sicherheit wiedererkennen. Holzing ist unverwechselbar, sowie etwa Klemke in der DDR einmalig war. Beide verbindet von der Strichführung nichts miteinander und doch sind sich beide Positionen ähnlich, denn beide verstehen Illustration als einen poetisch aufladbaren Rückzugsraum. Seine Grenzen werden allein durch den Zeichenstift festgelegt, sind also rein zeichensprachlich fixiert und nicht mental. Holzings Buch-Illustrationen wirken extrem flächig, weil die Figuren wie ausgeschnitten und auf weißem Papiergrund aufgeklebt wirken, zudem ist ihnen eine große Leichtigkeit eigen. In ihren Binnenstrukturen geradezu ornametal ziseliert, von der Andeutung der Kleidung her volkloristisch reich ausgestattet, scheinen sie häufig aller Erdenschwere ledig durch den Raum zu fliegen, mit wehendem Haar und flatternden Rockschößen. Märchen, Sagen, Grusel- und Zaubergeschichten und alles, was auf Welten zurückgreift, in denen die Gesetze der Schwerkraft nicht gelten, kommen Herbert Holzing insofern entgegen. Kinder, die in der DDR der 70-igerJahre Zugang zu den Bibliotheken evangelischer Kirchengemeinden hatten, kennen Holzings Illustrationen zu Lloyd Alexander Taranbüchern aus dem Arena-Verlag. Wenn es um Fiction-Fantasy geht, steht Lloyd Alexander mit seiner Taran-Reihe ganz weit vorn. Lang bevor der Trubel um den „Herrn der Ringe“ ausbrach, waren die Taran-Chroniken, die für Leser ab 10 Jahren empfohlen wurden, und die man ja nicht unbedingt als aufeinanderfolgende Bände lesen musste, Kult. Die Illustrationen von Herbert Holzing in ihrer graphischen Durchdringung des Stoffs, das blanke Gegenteil zu den naturalistisch verhunzten Weichzeichnerparadiesen der heutigen Fantasy-Puritaner,
sehen aus, wie mit dem Kamm aus dem Geschichten-Gewirr gezogen und verbinden Farbe und Traum. Mit dem Autor Otfried Preußler verbindet Holzing eine besondere, eine menschliche und eine Arbeitsbeziehung. Holzing hat nicht nur „Krabat“ illustriert, aus dem man in der Ausstellung einige wunderbar tonal abgestufte Original-Sepia-Zeichnungen – Fachleute sprechen gar von Holzing-Braun – sehen kann, sondern auch viele andere Geschichten, die von Preußler, der aus dem nordböhmischen Reichenberg stammt und dessen Vater Heimatforscher war, aus dem sagenhaften Schatz des slawischen Ostens herausdestilliert wurden. Wie man sich an diese Geschichten erinnert, hängt freilich im wesentlichen auch mit Holzings Illustrationen zusammen und der weichen, erdhaften, gefühlsbetonten Art, wie er zeichnet. Ob nun die Faust-Geschichte vom Waisenknaben „Krabat“, die im Wendischen spielt oder die Abenteuer des starken Wanja, dem der russische Arbeitsalltag schmeckt wie einem Hund die Brennessel und der eines Tages 7 Säcke Sonnenblumenkerne nimmt und damit auf den Backofen steigt, auf dem er 7 Jahre verbringt, ohne ein Wort zu sprechen, Holzing färbt den Geist der Geschichten mit einer warm-nährend emotinonal fruchtbaren Tonlage, der einem im Augenhintergrund bleibt. Herbert Holzing hat das finnische National-Epos „Kalevala“ in der Prosa-Übersetzung von Inge Ott illustriert und biblische Geschichten in der Nacherzählung von Jakob Streit. Er hat an repräsentativen Ausstellungen teilgenommen und viele Preise erhalten. Darunter den Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugend-Literatur, der 1984 für Buchillustration erstmals vergeben, sogleich an ihn ging. Seine Illustrationen befinden sich in Büchern, die in renommierten Verlagen erschienen und inzwischen Millionen-Auflagen erreicht haben. Wer sich entführen lassen will von Holzings märchengebundener Zeichenkunst und wer erleben will, wie Buch-Illustration Sprache kongenial begleitet und überhöht, dem sei diese stimmig arrangierte Kabinett-Ausstellung empfohlen.
Zur Ausstellungseröffnung am 25. September 2005 im Kunsthaus am Museum, Trier
Dr. Gabriele Lohberg, Trier
Die Geschichte der illustrierten Bücher nimmt ihren Anfang bereits lange vor dem Buchdruck, wobei die handgeschriebenen Bibeln des Mittelalters ihren besonderen Wert vor allem durch die aufwändigen Illustrationen erhalten. Die reich bebilderte „biblia pauperum“ war von größtem Wert für die Verbreitung des christlichen Glaubens und der Kirche, da sie der breiten Bevölkerung, die des Lesens nicht mächtig war, die Inhalte des Alten und Neuen Testaments durch Bilder anschaulich übermittelte. Im Laufe der Jahrhunderte veränderte sich die Buchillustration immer wieder, doch grundlegende Paradigmenwechsel im 20. und 21. Jahrhundert drängten letztlich die Bedeutung der Illustration gegenüber dem Text zurück, was sich auf die Funktion und Bedeutung der illustrierenden Bilder auswirkte. Für Herbert Holzing war die Kraft der Bilder, so wie sie in der „Armenbibel“ wirkte, eine wichtige Orientierung, um in der Bilderflut des 20. Jahrhunderts, unverwechselbare, ausdrucksreiche Werke zu schaffen.
Die von dem Trierer Künstler illustrierten Werke „Krabat“ und „Kalevala“ gehören zur Weltliteratur des Jugendbuches. „Krabat“, Text von Otfried Preußler, wurde in 30 Sprachen übersetzt und in Millionen-Auflage in verschieden reich bebilderten Ausgaben gedruckt. In der Jugendliteratur ist es üblich, je nach Ausgabe und Ort der Veröffentlichung, Geschichten und Romane von unterschiedlichen Künstlern illustrieren zu lassen. Doch nicht so bei den über 85 von Herbert Holzing bebilderten Büchern. Das Vorlesen, gemeinsame Lesen und eigene Lesen von Werken wie „Krabat“ ist auf der ganzen Welt mit seinen Bildern verbunden. Die Festlegung des literarischen Bildes bewirkt eine kollektive Kindheitserfahrung und Erinnerung, jenseits aller sprachlichen Unterschiede und Grenzen.
Ein so beeindruckendes Werk konnte Herbert Holzing nur gelingen, weil er die Fähigkeit besaß, die deutsche Sprache bis in feinste oder eigentümliche Verästellungen hinein verstehen zu wollen und ihre überraschende Bildhaftigkeit zu entdecken. Nach der sprachlichen Exegese untersuchte der Künstler den Text unter verschiedenen Aspekten der Bedeutungs- und Informationsebenen. Spielte eine Geschichte in der Gascogne oder in Tschechien, so folgten umfassende Recherchen über die jeweilige Landes- und Architekturgeschichte, Kostümkunde, Ornamentik, Volkskunst und vieles mehr. Um noch besser die besondere Atmosphäre, Farben und das Licht einfangen zu können, schlossen sich nicht selten Reisen z.B. nach Frankreich, Russland oder Tschechien an. Während dieser Vorarbeiten entwickelte er bereits die Charaktere der Protagonisten, ihre Physiognomie und Statur, die phantasievolle Kleidung, Haltung, Gestik und wählte die Szenen aus, die er illustrieren wollte. Die schöpferische Leistung, überzeugende Visualisierungen eines umfangreichen, märchenhaften Erzählkosmos immer wieder neu zu erfinden, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Dabei beschäftigte er sich sowohl mit dem christlichen Erzählkreis, mit Sagen, Märchen, Romanen, Gedichten und Geschichten und gab über 120 Büchern mit signifikanten Einbänden ein Gesicht.
Seine Illustrationen legt er in Sepia an, die er in vielfältiger Weise verwendet. So nutzt er neben der Federzeichnung Abdeck- und Abdruckschablonen, monotypische Druckverfahren und hebt besondere Partien durch Kolorierung hervor. Um die Farbigkeit zu steigern und um Flächen zusammenzuführen, verwendet er Folien, die er wie eine Collage in die Zeichnungen einbringt. Durch die Monotypie entstehen amorph strukturierte Flächen, die er durch sorgfältiges, feines Abtragen mit Gesichtern und Figuren oder einer phantasievollen Ornamentik charakterisiert. Diese Kombinatorik verleiht den Szenen einen geheimnisvollen oder märchenhaften Ausdruck, der dem jeweiligen erzählerischen Zusammenhang entspricht.
Die Sorgfalt bei der Annäherung an die lyrischen Inhalte, die bereits als besondere Qualität erwähnt wurde, zeigt sich ebenfalls in der Wahl der gestalterischen Mittel. Durch die umfassende Erarbeitung und der Auffassung ein Buch als Gesamtkunstwerk zu sehen, ergibt sich ein unverwechselbarer Stil und Ausdruck. Herbert Holzing erschafft Wesen, Figuren, Szenen, die in ihrer phantastischen Welt authentisch, glaubhaft und auf den Betrachter faszinierend wirken. Seine Märchenwelt ist wirklich eine verzauberte Welt, in der die Personen und Dinge oft schwerelos, wie in einem Traum existieren. Wie aus einer anderen Sphäre wirken sie unirdisch-leicht. Und selbst wenn es sich um Darstellungen handfester Trinkgelage oder eine Prügelei handelt, so scheint der Blick wie durch ein Zeitteleskop auf die Situation gelenkt zu werden. Die ornamentale Gestaltung und die so unverwechselbare Formensprache Herbert Holzings bändigt selbst Verzweiflung und Trauer der handelnden Wesen. So führt der Künstler uns in eine Welt der Phantasie, in der die Freiheit von der „dummen Wirklichkeit“ (Hermann Hesse) zelebriert wird. Ruhe, Ausgleich, Gelassenheit – all dies verbindet das Lesen der Texte mit dem „Lesen“ der Bilder. Diese Vertiefung in Literatur und Illustration erlaubt eine Auszeit vom Alltag und die Nähe zu einer inneren Welt der Phantasie.
Vortrag im Martinus-Museum Bassenheim anlässlich der Vernissage der Ausstellung Martinus und andere Heilige – Freitag, 16. November 2012
Dr. Markus Bertsch, Leiter des Mittelrhein-Museums Koblenz
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
heute möchte ich keinen bestimmten Heiligen ins Zentrum meiner Ausführungen rücken, sondern stattdessen mit Herbert Holzing einen der einflussreichsten deutschen Kinder- und Jugendbuchillustratoren des 20. Jahrhunderts würdigen. Allerdings schlägt der Titel der Ausstellung, Martinus und andere Heilige, eine geeignete Brücke von dem Namenspatron des Museums zu Holzings Bilderwelten. In dieser von Christine Holzing, der Ex-Ehefrau des Künstlers kuratierten Ausstellung zieren die Wände ausschließlich und konsequenterweise illustrative Zeichnungen christlich-religiöser Thematik.
Wir alle kennen Herbert Holzing. Doch kennen wir ihn wirklich auch namentlich? Verbinden und assoziieren wir bereits mit dem Namen ein ungemein reiches illustratives Werk, einen unverwechselbaren, brillanten Bilderkosmos? Wohl nur zum Teil. Herbert Holzing teilte mit vielen Künstlern das Schicksal, als Illustrator sicherlich nicht das Renommee erlangt zu haben, das er aufgrund seiner künstlerischen Fertigkeiten zweifellos verdient hätte. Diesbezüglich rangieren die oftmals eine Stufe unterhalb der Autoren. Illustratoren hatten es in dieser Hinsicht schon immer ungerechtfertigterweise schwer. Denken wir an den im 19. Jahrhundert tätigen Zeichner, Maler und Radierer Moritz Retzsch (1779-1857), der sich hauptsächlich als Illustrator betätigte und Goethes Faust I und II ein völlig neues Gesicht verlieh. Der mit seinen brillanten Umrissradierungen nicht nur die Gattung der Illustration vorantrieb, sondern aufgrund seiner innovativen Bildkompositionen den progressiven Stimmen im Chor der Kunstentwicklung des 19. Jahrhunderts zugerechnet werden kann. Doch bereits von Mitte des 19. Jahrhunderts an geriet Retzsch kontinuierlich in Vergessenheit. So wie viele seiner Zeitgenossen, die sich für die Laufbahn des Illustrators und gegen die Schöpfung autonomer Kunstwerke entschieden hatten. Erst die jüngere Kunstgeschichtsforschung hat Retzsch wieder zum Leben erweckt.
Diese Bedenken brauchen wir, was Herbert Holzing anbetrifft, natürlich nicht zu haben. Sein Werk genießt weithin Anerkennung, ist aus dem Kanon der Kinder- und Jugendbuchilllustration nicht mehr wegzudenken. Und dennoch, wie es Malte Blümke in seinem Beitrag über Holzing als Buchillustrator prägnant auf den Punkt brachte: „Buchillustration bedeutet intensive, oft unterschätzte Arbeit.“
Über Status- und Wertfragen von Illustrationen im Vergleich mit autonomer, jedem Anwendungsrahmen enthobener Kunst zu sprechen, sollte sich eigentlich erübrigen. Gute, gutgemachte Illustration ist zweifellos Kunst, mitunter sogar hohe Kunst. Das hat seinen Grund in der komplexen Ausgangslage jedes illustrierenden Künstlers. Denn jede Illustration, unabhängig davon, ob diese als selbständiges Kunstwerk oder aber als Buchillustration geschaffen wurde, ist immer zugleich auch eine Interpretation. Diese Bestimmung resultiert aus dem Transfer des Textmediums in ein Bildmedium, wobei die beiden Darstellungssysteme nie völlig miteinander zur Deckung gebracht werden können. Abgesehen davon, dass der bildende Künstler eine bestimmte Auswahl an Motiven der Textvorlage umsetzt, bedient er sich gleichzeitig genuiner, nur dem Bildmedium eigener Mittel.
Weiterhin hat in rezeptionsästhetischer Hinsicht jegliche Art der Illustration, insbesondere jedoch die Buchillustration, Einfluss auf das individuelle Textverständnis. Schon die bilderlose Lektüre des Texts reicht aus, um sinnliche, bildhafte Vergegenwärtigungen des Geschilderten im Leser aufsteigen zu lassen. Dem Illustrator kommt nun die schwierige Aufgabe zu, der Einbildungskraft eine bestimmte Richtung zu geben, ohne aber deren Entfaltungsdrang allzu sehr zu hemmen.
Doch wir wollen nicht abschweifen, sondern beim eigentlichen Thema des heutigen Abends bleiben. Gestatten Sie mir deshalb einleitend einen knappen biographischen überblick des Künstlers:
1931 in Trier geboren, durchlief Herbert Holzing zunächst eine Ausbildung als Grabbildhauer sowie als Plakat- und Schildermaler in Koblenz, besuchte die Kunstakademie in Karlsruhe und legte 1960 das Grafikexamen an der Werkkunstschule in Trier ab. In den Folgejahren arbeitete er als Werbegraphiker bei einer Firma in Heidelberg, einer Zeitung in Ingolstadt und einem Verlag in Neuwied. Diese Tätigkeit befriedigte ihn nur bedingt. Er sah sich in ein gestalterisches, seine Kreativität einengendes Korsett gezwängt. So entschloss er sich 1965 zu einer Existenz als selbständiger Graphiker. Im Laufe der 1970er Jahre konnte er sich mit einer Reihe prestigeträchtiger Aufträge als Kinder- und Jugendbuchillustrator einen Namen machen. 1976 zählte Holzing neben Literaturwissenschaftlern und weiteren Schriftstellern, darunter auch Otfried Preußler, zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Volkach am Main.
Bis 1980 in Koblenz, ab 1982 dann wieder in seinem Geburtsort Trier lebend, war er zwar hauptberuflich als Buchillustrator tätig, unterrichtete aber auch an Gymnasien, Hochschulen und im Rahmen von Sommerakademien.
Die nationalen und internationalen Ausstellungen, auf denen Holzing vertreten war, füllen eine umfangreiche Liste. Preise und Auszeichnungen ließen ebenfalls nicht lange auf sich warten. 1977 erhielt er die Goldene Plakette der Biennale der Illustration in Bratislava und 1984 war er, das ist durchaus programmatisch zu lesen, der erste Preisträger des Großen Preises für Buchillustration der bereits erwähnten Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Volkach.
Anfang 2000 starb Holzing in seiner Trierer Atelierwohnung. Sein künstlerischer Nachlass, annähernd 1000 Arbeiten sowie diverse Originalausgaben der von ihm illustrierten Bücher, gelangte 2009 nahezu geschlossen in das Bilderbuchmuseum auf Burg Wissem in Troisdorf. Das, was Sie hier an den Wänden verteilt finden, verblieb dagegen im Besitz der Familie.
Holzings Entscheidung, von 1965 an als selbständiger Grafikdesigner zu arbeiten, um schon bald danach auf die Illustrierung von Kinder- und Jugendbüchern zu setzen, spricht für die besondere Folgerichtigkeit seiner künstlerischen Absicht. Hinzu kommt noch eine familiäre Koinzidenz: denn in den Jahren 1965 und 1966 kamen seine beiden Kinder auf die Welt, die Entwicklungsschritte des eigenen Nachwuchses unmittelbar vor Augen, dürfte dies die illustratorische Tätigkeit zusätzlich befördert haben. Und dennoch: die Entscheidung, insbesondere auf diesen Rezipientenkreis zu setzen, war Mitte der 1960er Jahre mutig. Denn mit seinen anspruchsvollen Arbeiten hatte es Holzing bei den Verlegern zunächst nicht leicht. Illustrationen für Kinderbücher hatten sich einige von diesen zunächst anders, leichter und einfacher vorgestellt. Doch der sich schon wenig später einstellende Erfolg gab Holzing recht. Er war auf dem richtigen Weg. Und das hatte in entscheidendem Maße damit zu tun, dass er die Kinder und Jugendlichen ernst nahm und aus eigener Erfahrung wusste, wie er deren Aufmerksamkeit am besten fesseln konnte. 1982 hat Holzing dafür die folgenden plastischen Worte gefunden:
„Ich meine, dass kein wesentlicher Unterschied bestehen darf zwischen Kinder-/Jugendbuch-Illustrationen und solchen für Erwachsene. Die klare graphische Ergänzung und Erläuterung des Textes muss für Kinder und Erwachsene in gleicher Weise einsichtig sein. Gute Illustration spricht Kinder wie Erwachsene an, oder was für Erwachsene gut ist, wird auch Kinder ansprechen. Erwachsene befinden sich im Irrtum, wenn sie glauben, Kindern kindlich kommen zu müssen.“
Höchste Ansprüche an sich als Illustrator zu stellen, obgleich nur wir müssen sagen gerade weil der Rezipientenkreis ausschließlich aus Kindern und Jugendlichen bestand – das was sicherlich ein entscheidendes Kriterium für Holzings durchschlagenden Erfolg.
Staunenswert ist dabei nicht nur der Umfang – über 85 Bücher hat er illustriert und rund 120 Schutzumschläge gestaltet -, sondern auch die ausnehmende Bandbreite seines Schaffens. So reicht das Spektrum seiner Bebilderungen vom finnischen Nationalepos Kalevala (1978) über Lloyd Alexanders Taran-Bücher über diverse Abenteuer-, Reise- und Sagenbücher, eine Fülle an Märchen aus unterschiedlichsten Ländern und Regionen bis hin zu verschiedenen Publikationen christlich-religiöser, oftmals biblischer Thematik, womit auch das Thema unserer heute zu eröffnenden Ausstellung genannt wäre. Darauf kommen wir noch zurück. Eine besondere Affinität hatte er für Stoffe aus dem osteuropäischen Raum. Er selbst spürte gar eine Art Wesensverwandtschaft zu den Charaktereigenschaften, die man mit der Bevölkerung dieses Kulturraumes verband.
Doch so breit dieses Spektrum auch anmutet – ein roter Faden zieht sich auch durch all jene Werke. Die meisten der von Holzing illustrierten Bücher verfügen über eine anthropologische Konstante, fußen auf Grundbedingungen des menschlichen Daseins, Lebens und Handelns, kreisen um existenzielle Fragen, eröffnen Ausflüge in phantastische, übersinnliche und imaginäre Welten, thematisieren den Komplex von Schuld und Sühne und appellieren so an das Gefühl von Leser respektive Betrachter.
Eine Schlüsselstellung im Schaffen von Holzing kommt sicherlich der Zusammenarbeit mit Otfried Preußler zu, einem der führenden Namen auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendliteratur. Diese nahm 1968 mit dem Buch Die Abenteuer des starken Wanja ihren Ausgang und entwickelte sich schon wenig später zu einer engen Arbeitsbeziehung und Künstlerfreundschaft. Zwischen 1971 und 1995 sollte Holzing noch zehn weitere Romane, Erzählungen und Bildergeschichten für Preußler illustrieren, darunter so verbreitete Publikationen wie Der Goldene Brunnen (1975), Die Glocke von grünem Erz (1976), Thomas Vogelschreck (1977), Die Flucht nach ägypten (1978), und, als letztes Werk Die Glocke von Weihenstetten 1995. Doch das prominenteste Projekt hatte ich bislang unerwähnt gelassen, nämlich Preußlers in der sorbischen Sagenwelt verwurzelter Roman Krabat. Bereits die 1971 erschienene Erstausgabe ließ bereits deutlich erkennen, was für ein ausnehmendes Talent Holzing für die Bebilderung derartiger Texte besaß. Sein frühes Denkmal als Illustrator setzte sich der Künstler mit der 1976er Ausgabe des Krabat, die 30 Illustrationen enthielt und welche zugleich seinen internationalen Durchbruch markierte. Die darin enthaltenen vierfarbigen bzw. in Sepiaton gehaltenen Darstellungen waren in stilistischer Hinsicht wegweisend und sind es noch immer. Zwei Faktoren waren nicht nur für dieses Projekt entscheidend, sondern bestimmten auch alle anderen seiner illustratorischen Unternehmungen maßgeblich. Zugleich haben diese auch mit dem Selbstverständnis, ja der Selbstverpflichtung des Künstlers zu tun. Ich meine seine Einstimmung auf die Textvorlage sowie die von ihm gewählte komplexe Technik der Illustration. Die intensive Versenkung in den Text stand stets am Anfang. Holzing selbst merkt dazu an:
„Die Illustration – wie auch der Umschlag des Buches – sollte den Beschauer, den Leser tief in den Text, in die Handlung hineinführen. Auch wenn ich „nur“ den Umschlag zu gestalten habe, muss ich doch das ganze Manuskript lesen, weil mir die bloße Inhaltsangabe oder der Klappentext nicht die Ausdrucksweise, den Stil und die Atmosphäre vermitteln, die für eine entsprechende und überzeugende Gestaltung des Umschlagbildes unabdingbar sind.“
Doch damit war es für Holzing noch längst nicht getan. Er zielte nämlich auch darauf ab, die Stoffe in ihrem kulturhistorischen Kontext zu betrachten, um an Informationen etwa über Kleidung und Tracht zu kommen. Dieses im Selbststudium angeeignete Wissen brachte Holzing in seinen Illustrationen dann unmittelbar zur Anwendung.
Doch ohne eine besondere, von ihm entwickelte mehrstufige Technik, wie er sie geradezu beispielhaft in Form seiner Krabat-Illustrationen des Jahres 1976 umsetze, hätte die Frucht seiner Studien ihre Wirkung zum Teil verfehlt. Die einzelnen Schritte lassen sich dabei folgendermaßen beschreiben. Zunächst hat Holzing mit dem Bleistift seine Komposition skizziert. Mittels Sepiatusche, die auch als „Holzing-Braun“ geläufig ist, hat er sodann die Flächen lavierend ausgestaltet. Im Anschluss daran experimentierte er mit Abklatschverfahren und brachte in dem bräunlichen Grundton verschiedene Ornamente sowie die Umrisse seiner Gegenstände mittels Schaben und Kratzen zum Vorschein. Die intensive Farbigkeit und Leuchtkraft seiner Illustrationen erreichte er mittels bunter, transparenter Folien, die er auf seinen Zeichnungen fixierte. Die koloristische Brillanz ist außerordentlich und lässt sich nur vor den Originalen in all ihrer Intensität erleben. Würde man den weißen Grund – wie wir es aus den von ihm illustrierten Büchern kennen – gegen einen schwarzen austauschen – man wäre versucht, einige von Holzings Blättern mit figurativen Entwürfen für Glasmalereien zu verbinden.
Lassen Sie mich aber abschließend noch einige wenige Worte zu den Exponaten der heute zu eröffnenden Ausstellung Martinus und andere Heilige verlieren, die allesamt den christlich-religiösen Kontext berühren. Insgesamt zwölf der hier präsentierten Zeichnungen von Holzing entstanden im Zusammenhang mit dem von Herbert Ossowski verfassten und 1989 erschienenen Buch Legenden der Heiligen. Ossowski setzte als Autor nicht nur bleibende Akzente auf dem Kinder- und Jugendbuchmarkt, sondern zählte wie Holzing ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern der bereits erwähnten Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendbuchliteratur in Volkach. Gemeinsame Interessen von Autor und Illustrator waren sicherlich die ideale Basis einer produktiven Zusammenarbeit.
In der Abfolge nach den Namens- bzw. Gedenktagen der Heiligen im Jahresverlauf geordnet, finden sich in diesem Werk über 100 Legenden bestimmter Heiliger aufgeführt, auf die jeweils eine kurze historische Zusammenfassung folgt. Den Band zieren diverse ganzseitige Illustrationen von Holzing, die sich auf Episoden aus der jeweiligen Heiligenvita beziehen sowie aus kleinformatigen, vignettenhaften Darstellungen bestehen, die ebenfalls auf die betreffende Legende Bezug nehmen.
Holzings Illustrationen, darunter auch diejenige mit dem Heiligen Martin, wirken im Gegensatz zu manchen aus seinen früheren Schaffensphasen leichter, luftiger und heller. Dies resultiert einerseits aus einer veränderten Palette, unter anderem aus dem Verzicht auf dunkle Grundtöne, hat aber auch mit einer veränderten Technik zu tun. So hat der Künstler mitunter seine Schraffuren lediglich mit der Feder gesetzt und auf das flächenhafte Ausschaben von ornamentalen Elementen verzichtet. Betrachten sie nur den locker-schwungvollen Federstrich, mit dem Holzing auf der Darstellung Johannes des Täufers die grazil hinter diesem tänzelnde Salome wiedergab, die durch ihre laszive Vorführung dessen Schicksal besiegelte.
Sieben der hier ausgestellten Zeichnungen hat Herbert Holzing für das von Erich Jooß verfasste Buch Nikolaus. Geschichten aus seinem Leben aus dem Jahre 1995 geschaffen. Mit Jooß wäre ein Autor genannt, der mit Holzing diverse gemeinsame Buchprojekte realisieren konnte. Viele seiner Bücher wurden von der bereits mehrfach erwähnten Volkacher Akademie ausgezeichnet. In dem Nikolaus-Band erzählt Jooß verschiedene Legenden nach, die sich um den ehemaligen Bischof von Myra ranken. Neben dem Cover finden sich über das Buch 10 ganzseitige Illustrationen von Holzings Hand verteilt, die in technischer und stilistischer Hinsicht nun wieder an diejenigen Arbeiten erinnern, die der Künstler in den 1970er Jahren schuf und welche sein Renommee begründeten.
Anhand von drei Illustrationen zum heiligen Laurentius lässt sich die unterschiedliche, durch die jeweils veränderte Technik hervorgerufene Wirkung der Blätter anschaulich studieren.
Mit Holzings Illustrationen zum Brotwunder wäre eine weitere Zusammenarbeit mit Erich Jooß benannt. Bei diesem 1986 unter dem Titel Das Brotwunder. Geschichten zum Leben erschienenen Werk handelt es sich um eine von Jooß kompilierte Sammlung von Erzählungen, Märchen, Legenden und Fabeln. 16 ganzseitige Holzing-Illustrationen zieren diesen Band, von denen sich einige auch hier zu Gesicht bekommen.
Mit der 1989 erschienenen Großen Buch der Kinder- und Jugendgebete kann ich noch ein weiteres Gemeinschaftswerk von Jooß und Holzing erwähnen. Eine ganze Fülle ganzseitiger und kleinerer Illustrationen zieren diese Publikation, in der die unterschiedlichen Arten einer Zwiesprache mit Gott thematisiert werden. Zum Teil lassen die Bebilderungen, etwa der zweckentfremdete Stahlhelm zu einem Gedicht von Willi Fährmann, der stattdessen einer Pflanze als Nährboden dient, einen sozialkritischen Unterton erkennen. In diesem Band argumentiert Holzing über unterschiedliche Zeitebenen. Die historische Einkleidung der Gestalten wechselt mit zeitgenössischen Bildern aus dem Kinder- und Familienleben, wodurch das identifikatorische Potenzial der jungen Leser nachdrücklich gefördert wird.
Einen treffenden Vorgeschmack auf das Weihnachtsfest bieten schließlich Holzings Illustrationen für Otto Friedrich August Meinardus Buch Auf den Spuren der Heiligen Familie von Bethlehem nach Oberägypten.
Herbert Holzing hat mit seinen kongenialen Illustrationen Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur erst ihr einprägsames, charakteristisches, ja einzigartiges Gesicht verliehen. Ohne seinen Part können wir uns manche dieser Werke gar nicht mehr vorstellen. Das heißt nicht nur, dass er den Nerv der Zeit getroffen hat, sondern – das macht die beträchtliche Zahl der Neuauflagen deutlich -, dass er eine Bildsprache gefunden hat, die bestimmte Moden und den Zeitgeschmack überdauert, die gleichsam nie an Aktualität verliert. Dieses Gespür hatten nur wenige.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, überlasse Sie nun dem Kosmos Holzing und wünsche Ihnen einen schönen Abend hier im Bassenheimer Martinus-Museum.